Hildegard Schieb

Hildegard Schieb wurde am 7. Februar 1897 in Hermannstadt in Rumänien geboren. Schon als Kind fiel sie durch ihr herausragendes zeichnerisches Talent auf.

Nach Abschluß der Grundschule entschloß sie sich, aus dieser Begabung ihren Beruf zu machen: Sie besuchte von 1914 bis 1915 die Gewerbezeichenschule in Budapest und setzte dann ihre Ausbildung an der Budapester Kunstgewerbeschule fort, ihren Neigungen entsprechend in der Fachklasse Grafik. Neben anderen künstlerischen Fächern wurde dort auch Gebrauchsgrafik wie Reklame- und Buchillustration gelehrt. Ihre Abschlußprüfung bestand Hildegard Schieb 1918 mit Auszeichnung.

Hildegard Schieb.

Anschließend kehrte sie nach Hermannstadt zurück und richtete im Hause ihrer Eltern in der Hochmeistergasse eine grafische Werkstatt ein. Sie arbeitete als Gebrauchsgrafikerin und gab Unterricht in kunstgewerblichem Zeichnen und Schriftgestaltung. Daneben entstanden ihre ersten freien Grafiken und Aquarelle. Eine ihrer damaligen Schülerinnen war Juliana Fabricius-Dancu, die später als Künstlerin bekannt geworden ist. Gebrauchsgrafik war zu jener Zeit in Siebenbürgen nahezu unbekannt. Hildegard Schieb war die erste, die damit ihren Lebensunterhalt verdiente.

Nach einigen Jahren der Berufstätigkeit schrieb sie sich als Meisterschülerin an der renommierten Leipziger Akademie für grafische Künste und Buchgewerbe bei Georg Belwe und H. A. Müller ein. Hier wurde vor allem Gebrauchsgrafik, Kunstschrift, Holz- und Linolschnitt sowie Kupferstich unterrichtet. Bei einem Wettbewerb für den Entwurf eines Verlagslogos für die Berliner Firma Elsner gewann sie den ersten Preis.

Zum Abschluß ihrer Leipziger Jahre unternahm Hildegard Schieb Pfingsten 1923 mit mehreren Freundinnen aus Hermannstadt eine Studienreise durch den Harz und kehrte dann in ihre Heimat zurück, um dort ihre Tätigkeit als Grafikerin wiederaufzunehmen. Daneben engagierte sie sich zunächst ehrenamtlich im Sebastian-Hann-Verein, einem Verein für die Pflege und den Erhalt der Siebenbürger Volkskunst. 1930 wurde sie bei diesem Verein halbtags angestellt und fertigte dort u.a. Trachtenpuppen an.

1937 übernahm Hildegard Schieb die künstlerische Leitung der Werbeabteilung der Süßwarenfabrik Hess in Kronstadt und entwarf Plakate, Schokoladenverpackungen und Schaufensterdekorationen. Auch das Signet dieser Firma stammt von ihr. Als das Unternehmen 1941 kriegsbedingt seine Produktion einstellen mußte, kehrte sie nach Hermannstadt zurück und übernahm dort die künstlerische Leitung des Sebastian-Hann-Vereins. Durch diese Tätigkeiten entwickelte sich Hildegard Schieb zu einer vielseitigen Künstlerin, die sowohl kunsthandwerklich als auch künstlerisch arbeitete. Davon zeugen Buchillustrationen, Vignetten, Exlibris, Postkarten und Firmensignets ebenso wie Aquarelle, Tuschezeichnungen, Grafiken und Holzschnitte mit Motiven ihrer Heimat Siebenbürgen.

Hattingen, Emschewinkel. Linolschnitt

Hattingen, Emschewinkel. Linolschnitt

Auch in Berlin wurde man auf Hildegard Schieb aufmerksam, da die von ihr entworfenen Trachtenpuppen gut in die Volkstumsideologie der nationalsozialistischen Machthaber paßten. Sie wurde daher 1944 für einen Staatsauftrag nach München bestellt. Man forderte sie auf, eine Gruppe von Porzellanfiguren in siebenbürgischer Tracht zu entwerfen und herzustellen, die als Geschenk des Deutschen Reiches an den Statthalter des verbündeten Rumäniens gedacht war. Hildegard Schieb arbeitete in der Münchner Porzellanmanufaktur mit Häftlingen aus dem Konzentrationslager Dachau zusammen. Sie bemalte eigenhändig sämtliche Figuren der Gruppe. Nach Abschluß des Auftrags wurde sie auf der Heimreise in Wien von der Kapitulation Rumäniens überrascht. Die Schließung der Grenzen machte ihr eine Rückkehr nach Siebenbürgen unmöglich. Hildegard Schieb verbrachte nun einige Zeit in Wien und in München, dann zog sie zu ihrer Schwester nach Hattingen-Bredenscheid.

Ende 1945 fand sie in Hattingen im Haus Kirchplatz 19 eine neue Heimat. Hier arbeitete sie als freie Künstlerin und bestritt ihren Lebensunterhalt durch den Verkauf ihrer Bilder und durch gelegentliche Auftragsarbeiten.

In Hattingen knüpfte Hildegard Schieb vielfältige Verbindungen an, engagierte sich weiterhin für den Erhalt der Siebenbürger Volkskunst und entwickelte neue künstlerische Techniken. Sie wurde Mitglied im Künstlerbund Bochum, im Wirtschaftsverband bildender Künstler in Nordrhein-Westfalen und in der Künstlergilde Eßlingen. Der Hattinger Kunstverein ernannte Hildegard Schieb 1962 zu seinem Ehrenmitglied, im Museum des Heimatvereins Hattingen-Ruhr e.V., im Bügeleisenhaus, richtete sie 1966 eine Dauerausstellung „Volkskunst aus Siebenbürgen“ ein, deren Bestände bis heute gezeigt werden. Drei Jahre zuvor hatte das Museum bereits eine von ihr ausgerichtete Sonderausstellung zum gleichen Thema gezeigt.

Kirchenburg in Siebenbürgen. Linolschnitt, 1958

Kirchenburg in Siebenbürgen. Linolschnitt, 1958

Hildegard Schieb unternahm Reisen nach Jugoslawien, Frankreich, Spanien und Italien. Lebendig und anschaulich geschriebene Reise-berichte erschienen mit Federzeichnungen illustriert in den Hattinger Tageszeitungen. Aus dieser Zeit stammen Aquarelle und Federzeichnungen, vor allem aber Holz- und Linolschnitte, von denen sie farbige Handdrucke in Siebdrucktechnik mit bis zu sechs Farben herstellte. Als neue künstlerische Technik eignete sie sich die sogenannte Absprengtechnik an, bei der der Bildhintergrund durch ein spezielles Verfahren nachträglich mit Tusche eingefärbt werden kann.

Als Bildinhalte verarbeitete sie Motive aus der Hattinger Altstadt, Industrielandschaften, Reiseeindrücke und immer wieder Erinnerungen an die verlorene Heimat Siebenbürgen. Besonders populär wurden die Linoldrucke „Büffelschwemme“, „Hattinger Altstadt“, „Siebenbürgisches Dorf“, und „Keramikverkäuferin“. Hildegard Schieb arbeitete auch weiterhin kunsthandwerklich und bemalte Truhen und Stühle mit Motiven der Siebenbürger Volkskunst. Sie gestaltete zum Beispiel den Einband und den Buchschmuck des Lieder-buches „Siebenbürgen, Land des Segens“. Auch die Urkunde zur Grundsteinlegung des evangelischen Krankenhauses stammt von ihrer Hand.

1971 mußte Hildegard Schieb ihre fruchtbare künstlerische Tätigkeit wegen eines Augen-leidens fast völlig einstellen. Ihre vermutlich letzte Arbeit ist eine Bordüre mit siebenbürgischen Motiven auf einer Glaswand im Altenheim Wiehl-Drabenderhöhe, in das sie 1973 gezogen war. Von Drabenderhöhe aus hielt sie jedoch stets Kontakt zu Hattingen, wovon ein reger Schriftwechsel mit Dr. Eversberg, dem damaligen Vorsitzenden des Heimatvereins, zeugt.

Ihr Starleiden verschlimmerte sich in den folgenden Jahren bis zur völligen Erblindung. Zusätzlich verlor sie ihr Gehör. Die Kommunikation mit der Umwelt wurde zunehmend schwieriger. Hildegard Schieb starb am 9. Juni 1989 im Alter von 92 Jahren. Ihre Bilder hatte sie zuvor dem Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim vermacht.

Lebensdaten
1897 geboren am 7. Feb. in Hermannstadt (Rumänien)
1914 – 1916 Ausbildung an der Gewerbezeichen- und der Kunstgewerbeschule in Budapest
1919 – 1922 Arbeit als freie Grafikerin in Hermannstadt
1923 Meisterschülerin an der Akademie für grafische Künste in Leipzig
1930 Arbeit als Grafikerin beim Sebastian-Hann-Verein
1937 Leiterin der Werbeabteilung der Firma Hess
1941 Künstl. Leiterin des Sebastian-Hann-Vereins
1944 Auftragsarbeit in München
1945 Umzug nach Hattingen
1947-1971 Arbeit als freie Grafikerin in Hattingen
1962 Ehrenmitglied des Hattinger Kunstvereins
1966 Einrichtung der Siebenbürgen-Stuben im Bügeleisenhaus
1971 Einstellung der künstlerischen Tätigkeit wegen zunehmender Blindheit
1973 Umzug ins Altersheim in Wiehl-Drabenderhöhe
1989 Hildegard Schieb stirbt am 6. Juni im Alter von 92 Jahren.

Ausstellungen
1918 Hermannstadt
1938 Kronstadt
1944 Berlin, Breslau, Dresden, Stuttgart, Graz, Wien
1960 Gelsenkirchen
1962 Köln, Bochum, Hattingen
1965 Düsseldorf
1967 Hattingen
1977 Gundelsheim (zum 80. Geburtstag)
1982 Gundelsheim (zum 85. Geburtstag)
1983 Bad Homburg
1987 Dinkelsbühl
1996 Bochum (Retrospektive des Künstlerbundes)
1999 Hattingen, Bügeleisenhaus

Literatur
Konrad Gündisch, „Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen“, München 1998
Ernst Wagner, „Geschichte der Siebenbürger Sachsen“, Thaur bei Innsbruck 1990
Georg Gerster, „Siebenbürgen im Flug“, München 1999

Recherche und Text: Helmut Bock (+), Klaus Wiesemann
Bildnachweis: Heimatverein Hattingen/Ruhr e.V., Stadt Hattingen, Altenheim Drabenderhöhe, Privatbesitz

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