
Otto Wohlgemuth im „Bügeleisenhaus“. Foto: Archiv des Heimatvereins Hattingen/MiBEH
Auf der Suche nach Literatur aus dem Ruhrgebiet begegnet der interessierte Leser sehr bald schon dem Bergmann, Dichter und Maler Otto Wohlgemuth, der sich auf vielfältige Weise mit der Landschaft und den Menschen in seiner heimatlichen Region, dem Ruhrland, auseinandergesetzt hat. Ein umfangreiches literarisches Werk, Zeichnungen und Gemälde dokumentieren Wohlgemuths Bestrebungen, seine Eindrücke und Erlebnisse künstlerisch festzuhalten.
Das Museum im Bügeleisenhaus, in dessen Räumen der Künstler seine letzten Jahre verbracht hat, gab vom 25. April bis 29. August 1999 im Rahmen einer Ausstellung einen Einblick in das Leben Otto Wohlgemuths. Der hier veröffentlichte Text stammt aus dem damaligen Ausstellungprospekt.
Einundachtzig Lebensjahre in vier kleinen Räumen darzustellen, ist kaum möglich. Doch der Rundgang durch die Ausstellung zeigt vor allem eines: Wohlgemuth war stets bemüht, den arbeitenden Menschen an Literatur und Kunst heranzuführen. Immer wieder suchte er den Austausch mit Gleichgesinnten. Zeitlebens bemühte er sich um künstlerische Vielseitigkeit. Niemals vergaß er, welcher Anstrengungen es bedurfte, den gesellschaftlichen Aufstieg vom „dichtenden Arbeiter aus kleineren Verhältnissen zum gebildeten Bürger“ zu schaffen. Doch zurück zu den Anfängen…
Otto Wohlgemuth wird am 30. März 1884 in einem Fachwerkhaus der Hattinger Altstadt geboren. Sein Vater ist Bergmann. Nach dem Besuch der Volksschule beginnt Wohlgemuth 1898 eine zweijährige Lehre in einer Lindener Eisengießerei. Von dort wechselt er im Jahre 1900 in den Bergbau. Dies wird für ihn in vielerlei Hinsicht ein prägender Lebens-abschnitt. Wohlgemuth beginnt, eigene Erlebnisse in Wort und Bild auszudrücken. „Seit meinem achtzehnten Lebensjahr habe ich versucht, das, was ich in der Erde und über Tage zutiefst in mir erlebte, niederzuschreiben, dichterisch zu gestalten,“ schreibt Wohlgemuth in seinen Lebenserinnerung. Parallel zu seiner Arbeit als Bergmann schult Otto Wohlgemuth autodidaktisch seine dichterischen und künstlerischen Talente. Dies erscheint ihm als die einzige Möglichkeit, aus seiner Stellung heraus Zugang zum Bürgertum zu finden. Entsprechend dem bürgerlichen Bildungsideal setzt er sich mit klassischer Musik, Theater, Literatur und den großen Meistern der Kunst auseinander.
Nach ersten Veröffentlichungen kleiner Erzählungen im ‘Bochumer Anzeiger’ wagt Wohlgemuth 1908 in der ‘Literarischen Gesellschaft’ mit eigenen Gedichten den ersten und erfolgreichen Schritt in die Öffentlichkeit
Wohlgemuth arbeitet bis 1923 weiterhin als Bergmann, nur kurz unterbrochen von einer Tätigkeit als Bürogehilfe. 1923 gibt er den Beruf des Bergmanns endgültig auf. In Gelsenkirchen-Buer findet er eine Anstellung als Bibliothekar in der Stadtbibliothek.
Das dichterische Gesamtwerk Otto Wohlgemuths umfasst Prosa und Lyrik. Dabei überwiegt der Anteil der aus eigenen Erlebnissen entstandenen Bergmannsgedichte bei weitem. Im Frühwerk (1908 – 1914) finden sich in erster Linie natur- und heimatverbundene Gedichte, die eine eher romantisierende Naturbegeisterung erkennen lassen. Erst ab 1918 wird der arbeitende Mensch zum zentralen Thema. Anschaulich und zuweilen pathetisch beschreibt der Bergmann Wohlgemuth in seinen Gedichten und kurzen Erzählungen die Gefahren und extremen Arbeitsbedingungen, denen die im Bergbau tätigen Männer Tag für Tag ausgesetzt sind. Wohlgemuth weiß seine Leser besonders dadurch zu beeindrucken, dass er die Sprache der Bergleute kennt und spricht.
Die thematische Entwicklung seines dichterischen Werkes spiegelt sich auch in seinen Bildern und Grafiken wider. Die ersten auf Leinwand und Papier festgehaltenen Eindrücke lassen seine Liebe zu Heimat und Natur erkennen. Die ‘vor Ort’ und ‘unter Tage’ gewonnenen Eindrücke bestimmen weitgehend die Themen der Gemälde und Zeichnungen seiner Hauptschaffensperiode in den 20er Jahren. Wohlgemuths Bestreben ist es, „die einsame schwere Schönheit der unterirdischen Grubenlandschaft (…) der Allgemeinheit näher zu bringen“.
Die Freundschaft zu dem Graphiker Hermann Käthelhöhn (1884-1940) beeinflusst den Künstler nicht nur in der Wahl seiner Bildthemen, sondern auch in der Wahl des gestalterischen Mediums. Wohlgemuth zieht 1921 zu Käthelhöhn in die Kruppsche Siedlung ‘Margarethenhöhe’ und nutzt dort die Gelegenheit, sich in verschiedene druckgrafische Techniken einzuarbeiten.
Die Ausstellung stellt einige Werke vor, die aufgrund der verschiedenartigen vom Künstler verwendeten Ausdrucksmittel die ganze Bandbreite seines künstlerischen Wirkens zeigen.
Als ‘Westfalenpoet’ wird Otto Wohlgemuth große Anerkennung zuteil, auch über die Grenzen seiner Heimat hinaus. Auf vielfältige Weise trägt er dazu bei, der bergmännischen Dichtung zu einem festen Platz in der zeitgenössischen Literatur zu verhelfen.
Otto Wohlgemuth engagiert sich besonders dafür, schöpferische Kräfte in der Arbeiterschaft zu einer gemeinsamen Runde zusammen-zuschließen: Er gründet die Künstlerprojekte ‘Hellwegbund’ (1916) und ‘Ruhrlandkreis’ (1923), um die „Rufer hinter den Dingen in der menschlichen Sehnsucht“ unter den Arbeitern im Ruhrland zusammenzuführen.
Doch nur der ‘Ruhrlandkreis’ als eine Vereinigung von Dichtern und Künstlern hat Bestand. In unregelmäßigen Abständen treffen sich die Mitglieder zum Gedankenaustausch über allgemeine Sachfragen und den Kreis besonders betreffende Themen. Öffentliche Dichterlesungen werden erörtert und geplant, aber auch das gesellige Leben in Form von Ausflügen zu kunst- und kulturhistorischen Stätten kommt nicht zu kurz. Anregung zu solchen Künstlerkreisen findet Wohlgemuth bei den ‘Werkleuten auf Haus Nyland’, einem ‘Bund für schöpferische Arbeit’, der im Jahre 1912 gegründet wurde und dem sich Wohlgemuth freundschaftlich verbunden fühlt.
Im Jahre 1933 versetzt die national-sozialistische Stadtverwaltung Gelsenkirchens den Bibliothekar zwangsweise in den Ruhestand. Otto Wohlgemuth verlässt daraufhin das Ruhrgebiet, arrangiert sich jedoch bald mit den politischen Gegebenheiten und tritt in die Partei ein. Im Auftrag der NS-Kulturgemeinde hält er Lesungen und Vorträge im ganzen Reichsgebiet. Nach 1939 hält er zusätzlich Vorträge vor Soldaten, die er in Lazaretten besucht. Dennoch wird Otto Wohlgemuth 1942 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen. Ein Jahr später dürfen seine Bücher nicht mehr verlegt werden.
Auch im Alter verfolgt Wohlgemuth weiterhin das Ziel, das Ansehen und die Berechtigung des „schreibenden Arbeiters“ unter Beweis zu stellen. So verstärkt er zum Beispiel im Jahre 1949 seine Bemühungen um die Wiederaufnahme einer bergmännischen Anthologie.
Wohlgemuth besucht die Dichtertagungen in Walsum (1956) und in Gevelsberg (1961). Dort fordert er vor allem jüngere Kollegen auf, „wahrheitsgemäß“ und „formal geglückt“ qualitätvolle und für die Nachwelt erhaltenswert erscheinende literarische Werke zu schaffen. Als anerkannter Freund und Kollege wird Wohlgemuth auch von der nachkommenden Dichtergeneration, zum Beispiel von den Mitgliedern der späteren Dortmunder Gruppe 61, um Rat bei der Gründung einer Künstlervereinigung gebeten.
Nach vielen Jahren des Reisens kehrt Otto Wohlgemuth 1962 in seine Geburtsstadt Hattingen zurück. Schon im darauffolgenden Jahr würdigt der Heimatverein Hattingen-Ruhr e.V. im Rahmen einer kleinen Ausstellung zum ersten Mal das Gesamtwerk Wohlgemuths. Der Nachlass des Dichters ist heute zu Teilen im Besitz des Vereins.
Lebensdaten
30.3.1884 Geburt in Hattingen
1898 Beginn einer Lehre in der Wolffschen Eisengießerei in Bochum-Linden
31.3.1900 Erste Schicht unter Tage auf der Zeche Friedlicher Nachbar
1903 Heirat mit Anna Nöllecke, Tätigkeit auf der Zeche Engelsburg in Bochum
1906 Einzug zum Militärdienst, Entlassung aus gesundheitlichen Gründen nach zwei Monaten
1908-1910 Bürogehilfe beim Allgemeinen Knappschaftsverein Bochum ab 1910 erneute Tätigkeit als Bergmann
1918 Umzug nach Nierenhof in das sog. ‘Haus im Birken’, Soldat von Juli bis Dezember
1919 Knappe im Siegerland
1920 gemeinsame Zechenfahrten mit Hermann Käthelhöhn
1921 Wohnen und Arbeiten in Essen auf der Margarethenhöhe
1923 Anstellung als Stadtbibliothekar in Buer, nach der Vereinigung der Städte Buer und Gelsenkirchen im Jahre
1928 Leiter der Bibliotheken beider Städte
1926 Heirat mit Ottilie Kerper (1887-1960)
1933 Zwangspensionierung durch die Reichsleitung der NSDAP, Umzug nach Durbusch (Siegkreis)
1935-1945 Lese- und Vortragsreisen im Auftrag der NS- Kulturgemeinde nach
1945 Wohnsitz in Honrath (Siegkreis)
1953 Wohnsitz in Frackenpohl (Siegkreis)
1962 Rückkehr nach Hattingen und Einzug in das Bügeleisenhaus, Heirat mit Marie Wittenbecher
15.8.1965 Tod
Literatur:
Anita Overwien-Neuhaus, „Mythos, Arbeit, Wirklichkeit. Leben und Werk des Bergarbeiterdichters Otto Wohlgemuth“. Köln 1986
Michael Klaus, „Otto Wohlgemuth und der Ruhrlandkreis. Eine regionale Autorengruppe in der Weimarer Republik“. Köln 1980
Fritz Hüser u. Ferdinand Oppenberg (Hrsg.), „Erlebtes Land – unser Revier. Das Ruhrgebiet in Literatur“, Grafik und Malerei. Duisburg 1966
Text: Gudrun Schwarzer
Bildnachweis: Heimatverein Hattingen-Ruhr e.V. und Privatbesitz
Alle Zitate im Text von Otto Wohlgemuth.